Stellungnahme der FDP-Fraktion zur Haushaltsverabschiedung am 25.02.2025

 „Steig nicht zu hoch“ – rief Dädalus seinem Sohn Ikarus auf der Flucht von der Insel Kreta zu. Sie hatten an ihren Armen selbstgefertigte Gestänge aus Federn befestigt, um ihrer Gefangenschaft im Labyrinth des Königs Minos zu entkommen. Zunächst verlief ihre Reise durch die Luft erfolgreich, doch nach einigen Meilen verhallten die warnenden Worte des Vaters wirkungslos im Blau über dem ägäischen Meer. Ikarus flog höher und höher, bis die Hitze der Sonne das Wachs, das die Federn zusammenhielt, zum Schmelzen brachte – und er ins Meer stürzte.

Dieser mythische und zugleich tragische erste Flug der Menschheitsgeschichte ist reich an Facetten. Er symbolisiert nicht nur, dass warnende Worte in der Regel ungehört verhallen, sondern zeigt auch gleichzeitig die fatalen Folgen von Selbstüberschätzung auf. Versäumt man den Abgleich zwischen eigenem Leistungsvermögen und den für eine Aufgabe notwendigen Kapazitäten, so ist Scheitern vorprogrammiert. Geschieht dies im privaten Umfeld, nennt man es Lernen durch Schmerz. Im öffentlichen Bereich wird es kritisch für andere Menschen, und daher ist besondere Vorsicht geboten.

Fliegen wir mit unseren Vorhaben zu hoch? Wir meinen ja. Reichen unsere Ressourcen für die vor uns liegenden Aufgaben? Wohl kaum. Können wir unser Leistungsspektrum dauerhaft gewährleisten? Eher nicht. Und können wir weitere Reserven mobilisieren? Nur bedingt. So lautet zusammengefasst die Einschätzung der FDP-Fraktion zu dem in den vergangenen Monaten beratenen Haushaltsplanentwurf und insbesondere zu dem für die kommenden Jahre geplanten Investitionsprogramm unserer Gemeinde. Dabei identifizieren wir fünf Risikofelder, die uns besondere Sorgen bereiten und die wir daher auch hier etwas ausführlicher ansprechen möchten:

Das Gewerbegebiet Sandfeld

Bald fünfzehn Jahre nach dem Aufstellungsbeschluss stehen nun die in Richtung Baggersee gelegenen Flächen kurz vor ihrer Erschließung. Dies nennt man Deutschlandtempo. Gleichzeitig befindet sich unsere Wirtschaft nach einem über drei Jahre währenden grün eingefärbten Deindustrialisierungsprogramm in einer seit Gründung der Bundesrepublik noch nie dagewesenen Rezession. Gewerbeflächen sind in unserer Region ein knappes Gut, doch rollt momentan eine Insolvenzwelle durch unser Land, und nicht nur junge, motivierte und gut ausgebildete Menschen, sondern auch Kapital wandern ab. In Deutschland wird nicht mehr investiert. Wir fragen uns daher, ob wir im gegenwärtigen Umfeld unsere selbstgesteckten Ziele erreichen und die innovativen Betriebe mit hoher Arbeitsplatzdichte und Wertschöpfung ansiedeln können, von denen wir seit Jahren träumen. Gleichzeitig muss uns bewusst sein, dass eine Bevorratung von Teilflächen für „bessere Zeiten“ ihren Preis hat: Halten wir nur ein Drittel der Grundstücke als Reserve vor, so belasten knapp 200.000 € an Zinsen unsere zukünftigen Haushalte, und wir geraten noch mehr unter Druck. Wir brauchen daher baldmöglichst eine Liste der an den Gewerbegrundstücken interessierten Betriebe. Diesen ist umgehend der Kaufpreis der Flächen mitzuteilen. Danach ist gemäß dem von der FDP-Fraktion schon vor fünf Jahren beantragten Kriterienkatalog zu verfahren. Wir wollen keine Lagerhallen und keine Speditionen, sondern Betriebe, die qualifizierte Ausbildungs- und Arbeitsplätze schaffen und damit einen wertvollen Beitrag zum Allgemeinwohl leisten.

Das Baugebiet „Kirchberg-Mittelweg“

Mit der Erschließung des Baugebietes „Kirchberg-Mittelweg“ begeben wir uns in einen Fluss, dessen Tiefe und Strömung wir nicht kennen. Vor wenigen Wochen hat der Gemeinderat die Vergabe von Probebohrungen an dem auf brachiale Weise gerodeten Steilhang vergeben, und somit kann noch niemand die Summe für den Bau von Stützmauern, des Brückenbauwerks und der Straßen genau abschätzen. Nach Aussage der Verwaltung wird uns die Erschließung mehr kosten wird, als wir an Wertabschöpfung und Beiträgen einnehmen werden. Völlig im Unklaren bleiben wir nach wie vor über die Interessenlage der Grundstückseigentümer: Wollen diese selbst bauen? Müssen sie nach Erhalt der Beitragsbescheide ihre Flächen verkaufen? Wer wird diese Grundstücke sodann erwerben? Die Hoffnung, dass gutsituierte Personen aus der Region den Kirchberg-Mittelweg in ein Weingartener Nobelviertel verwandeln und mit ihrem Einkommenssteueranteil unsere Haushaltssituation verbessern scheint uns jedenfalls ausgesprochen vage. Eines steht jedoch heute schon fest: Der „Kirchberg-Mittelweg“ wird in die Ortsgeschichte als das Baugebiet eingehen, das keiner wollte, das aber auch gleichzeitig niemand zu stoppen imstande war.

Der geplante Schulneubau auf dem Festplatz

47,5 Mio., in Worten siebenundvierzigkommafünf Millionen € beträgt der Haushaltsansatz für den Neubau einer Schule auf dem Festplatz in unserer bis 2028 reichenden mittelfristigen Finanzplanung. Dieser enormen Summe stehen erwartete Zuschüsse in Höhe von 10 Mio. € gegenüber, und somit verbleiben immer noch bald 40 Mio. € als von der Gemeinde zu finanzierender Anteil. Nach wie vor können wir nicht nachvollziehen, warum wir einen Projektsteuerer für über 300.000 € brauchen, um folgende einfache überschlägige Kalkulation zu machen: Selbst wenn wir die Baukosten mit 5.000 € pro Quadratmeter recht niedrig ansetzen und den Flächenbedarf von derzeit 12.000 auf 10.000 qm reduzieren landen wir immer noch bei einer Gesamtsumme von 50 Mio. €. Deren Kreditfinanzierung – Eigenmittel sind keine vorhanden – belastet unsere zukünftigen Haushalte mit rund 1,8 Mio. € jährlich, hinzu kommen Abschreibungen in Höhe einer weiteren Mio. €. Man braucht wahrhaftig nur die vier Grundrechenarten zu beherrschen, um zu erkennen, dass das Vorhaben außerhalb unserer Reichweite liegt. Schon heute erwirtschaften wir regulär keinen Überschuss, sondern ein jährliches Defizit in der Größenordnung von rund 1,5 Mio. € pro Jahr, und es verwundert uns, dass diejenigen, die den vielstrapazierten Begriff der Nachhaltigkeit am häufigsten verwenden, die wenigsten Hemmungen verspüren, uns noch weiter zu verschulden und damit nachfolgenden Generationen kaum tragbare Lasten aufzuerlegen. Nicht zuletzt sollte uns auch bewusst sein, dass wir in unserem Finanzgebaren keine Narrenfreiheit genießen, sondern einer Kontrolle durch die Rechts- und Kommunalaufsicht unterliegen und dass weitere Kreditaufnahmen von dort zu genehmigen sind.

Die Höhe der Verpflichtungsermächtigungen

Eine Vorstufe der kommunalen Verschuldung sind die sogenannten Verpflichtungsermächtigungen. Sie gestatten es einer Gemeinde, bei sich über längere Zeiträume erstreckenden Investitionsvorhaben einen finanziellen Vorgriff auf die kommenden Haushalte zu tätigen. Daher bedürfen sie ebenfalls einer genauen Prüfung durch das Landratsamt. Lag deren Gesamtsumme seit Einführung der Doppik maximal bei ca. 15 Mio. €, so steigen sie nun sprunghaft auf über 21 Mio. € an.

Durch diesen Kunstgriff sieht der nun zur Verabschiedung anstehende Haushalt besser aus – zu Lasten der Folgejahre, in denen die Kreditaufnahmen jeweils 9,7, 11,6 und 19,5 Mio. € betragen sollen. Ist also der Startschuss für ein einzelnes Investitionsvorhaben gefallen, so gibt es kein Zurück mehr. Umso sorgfältiger müssen wir daher die gesamten Auswirkungen jedes einzelnen Projektes abwägen.

Die langfristigen Folgen unserer Investitionsentscheidungen

Die FDP-Fraktion hat schon immer nicht nur dem laufenden Haushaltsjahr, sondern auch der Finanzplanung besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Leider erstreckt sich diese nur auf die drei kommenden Jahre, also bis einschließlich 2028. Was danach geschehen wird verbirgt sich unserem Blick – und doch können wir bereits heute manche Konsequenzen unserer Entscheidungen abschätzen. Wir wollen innerhalb von vier Jahren phantastische 96 Mio. € investieren – finanziert über Verkauf von Gemeindeflächen und über zusätzliche Schulden in Höhe von 45 Mio. €. Gleichzeitig bleiben innerhalb des Zeithorizonts unsere jährlichen Abschreibungen nahezu konstant. Die Begründung der Verwaltung ist ebenso einfach wie realitätsfern: Die einzelnen Vorhaben werden ja bis zum Ende des Planungszeitraues noch gar nicht fertiggestellt sein, also können wir diese noch gar nicht abschreiben. Was mit dem kommunalen Haushaltsrecht möglicherweise konform sein mag, birgt zwei enorme Gefahren in sich: Erstens werden in den Folgejahren zusätzliche Finanzmittel für die Fertigstellung unserer Projekte benötigt werden. In einer noch im Innenausbau befindlichen Schule kann man nicht unterrichten. Gleichzeitig müssen alle Vorhaben nach Inbetriebnahme „aktiviert“, das heißt über einen Zeitraum von meist fünfzig Jahren zu zwei Prozent p.a. abgeschrieben werden. Bis heute weicht man unserer Frage, wie wir zusätzliche zwei Millionen jährlich erwirtschaften wollen, mit gesenktem Blick aus. Nachhaltigkeit bedeutet für uns jedoch, erkennbare Risiken zu identifizieren und diesen nicht mit formalen Begründungen auszuweichen. Die haushaltsrechtlichen Gesetzmäßigkeiten sind unausweichlich, und daher lautet unsere Konsequenz: Ja, wir fliegen zu hoch! Halten wir am gegenwärtigen Kurs fest, so droht uns das Schicksal einer verarmten Adelsfamilie: Hals über Kopf verschuldet, alle Ländereien veräußert, die Kunstschätze versteigert, kein Geld für die Instandhaltung unseres baufälligen Schlosses – aber dafür aber immer noch eine Menge Standesdünkel und Allüren im Kopf.

Wir maßen uns an, Vorbild zu sein, und hinken doch auf armselige Weise hinterher. Wir wollen verdiente Personen in unserem Ort mit Medaillen beehren und über ihre Lebensleistung urteilen, ohne zu wissen, ob diese überhaupt beglückt werden wollen. Mit unserer Flaggenparade im Ortskern steigen wir ein in die Betreuung des Denkens unserer Bürger, während gleichzeitig Recht und Ordnung erodieren und der öffentliche Raum Verwahrlosungserscheinungen zeigt. Gut ein Drittel unserer Straßenlaternen und Verkehrsschilder neigt sich langsam zur Erde. Mülltonnen stehen satzungswidrig tagelang im öffentlichen Raum. Die Graffiti im Bahnhofsbereich, die Unfähigkeit, in den Wochenendgebieten rechtskonforme Zustände herzustellen, die sich alljährlich um die örtlichen Glascontainer ausbreitenden Flaschenlandschaften sowie die Vermüllung unserer Gemarkung sind Zeichen dafür, dass die zentralen Aufgaben einer Verwaltung, nämlich die Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung, nicht mehr erfüllt werden und wir uns statt mit Substanz – mit Symbolik beschäftigen.

Wir wissen nicht mehr, wo genau Oben und Unten ist, und wollen Einfluss auf das Weltklima nehmen. Selbst in den neuen Baugebieten gerät das Pflaster aus den Fugen, doch wir diskutieren über das „Schwammstadtprinzip“ und beschließen Zehntausendeurobäume. Die sich immer stärker ausbreitende „Abgehobenheit der politischen Klasse“ beginnt bereits auf kommunaler Ebene. Dies ist vielleicht mit ein Grund, dass die FDP in Weingarten mit ihrem Slogan „Kommunalpolitik mit Bodenhaftung“ ein Rekordergebnis erzielt hat. Unsere Bürger haben eine Rückkehr zur Vernunft verdient – und sie artikulieren dieses Verlangen immer deutlicher!

Wie vermeiden wir also den drohenden Sturz ins Bodenlose? Durch den Verkauf und die Zerstörung unseres Waldes und unserer Restnatur für eine Handvoll Euro? Nicht mit uns. Mit einer Absenkung der Pro-Kopf-Verschuldung durch Nachverdichtung und Erhöhung der Einwohnerzahl? Dies wird nicht gelingen. Durch weiteres Drehen an der Steuerschraube? Für die FDP keine Option! Bereits heute überlegt sich eine wachsende Zahl von Menschen gegen Monatsende, ob das Geld für den Wochenendeinkauf noch reicht. Sie fragen sich nicht, ob die Straßenlaterne vor ihrer Haustür mit grüngewaschenem Ökostrom versorgt wird, sondern führen einen täglichen Kampf gegen sozialen Abstieg. Dass immer mehr Haushalte ihre Wohnungen nicht mehr angemessen heizen können ist traurige Realität in einem Land, das sich selbst als reich bezeichnet und in einer Art Hans-im-Glück-Mentalität seinen Wohlstand über den ganzen Erdball verstreut. Zwanzig Prozent der Haushalte können nicht mehr in Urlaub fahren. Der Tafelladen in der Bahnhofstraße ist ein Glücksfall für viele Menschen, aber gleichzeitig auch Indiz für eine zunehmende Verarmung, und bereits heute zeichnen sich in Form der vom Bundestag beschlossenen CO2-Bepreisung ab 2027 weitere Kostensteigerungen für Energie und ein deutliches Anspringen der Inflation an. Der einzige gangbare Weg ist daher eine Abkehr von den in den vergangenen Jahren überproportional gewachsenen Freiwilligkeitsleistungen und eine Konzentration auf unsere Kernaufgaben. Allein der Blick auf unsere in den vergangenen fünfzehn Jahren von rund 90 auf über 220 angewachsenen Personalstellen zeigt uns, dass es so nicht weitergehen kann. Unser völlig überwucherter Weinberg braucht einen Rückschnitt und Pflege, sonst erstickt er an sich selbst. Im Gegensatz zu einer Mehrheit in diesem Gremium ist unsere Fraktion davon überzeugt, dass eine Reduzierung kommunaler Leistungen keinesfalls die Haushalte ins Bodenlose stürzen wird. Ganz im Gegenteil – Freiheit, Selbstverantwortung und Leistungsbereitschaft gehen Hand in Hand einher mit Lebenszufriedenheit. Sie sind Katalysatoren für Kreativität und Solidarität, für private Initiative und Mobilisierung eigener Kräfte, während eine ständige Subventionierung Passivität befördert und unsere örtliche Gemeinschaft in Lethargie verharren lässt.

Trotz dieser kritischen Anmerkungen stimmt unsere Fraktion dem vorliegenden Haushaltsplan sowie den Wirtschaftsplänen für die Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung zu. Wir tun dies in der Hoffnung, dass insbesondere die enorme Höhe der Verpflichtungsermächtigungen einer Überprüfung durch die Kommunalaufsicht standhält und dass im Laufe dieses Haushaltsjahres die überfälligen Kurskorrekturen gemeinsam eingeleitet werden. Wir sind Anfang November mit einer geplanten Neuverschuldung in Höhe von 11,9 Mio. € und mit einem jährlichen Defizit von 2,7 Mio. € in die Haushaltsberatungen eingestiegen und haben diese Ansätze auf 4,3 Mio. € bzw. 840.000 € reduziert. Dieses Ergebnis ist im Wesentlichen auf die konstruktive Zusammenarbeit mit der CDU-Fraktion zurückzuführen, für deren Engagement wir hier unseren besonderen Dank aussprechen möchten. Ebenfalls wollen wir an dieser Stelle die Leistung der Finanzabteilung würdigen. Mit unseren Jahresabschlüssen sind wir auf dem Laufenden und damit beispielgebend für eine Vielzahl anderer Gemeinden. Danken möchten wir abschließend auch allen, die sich in irgendeiner Form für unsere gemeinsame Heimat einsetzen, sei dies nun beruflich oder ehrenamtlich, öffentlich wahrnehmbar oder völlig unbeachtet in den Familien, Nachbarschaften oder in den vielen kleinen Zellen der dörflichen Solidarität. In einer Zeit, in der staatliche Institutionen vor ihren eigenen Aufgaben kapitulieren, sind all diese Menschen Hoffnung und Fundament zugleich.