Druck im Kessel

FDP Weingarten stellt Grundsätze der gegenwärtigen baulichen Entwicklung auf den Prüfstand

„Wir haben unsere Außengrenzen definiert, jetzt geht es darum, innerhalb der bestehenden Bebauung eine behutsame Nachverdichtung zur Schaffung von Wohnraum zu vollziehen“ – mit diesen Worten antwortete Bürgermeister Eric Bänziger im Rahmen der Einwohnerversammlung vom 29.06.2023 auf die Frage eines Weingartener Bürgers, ob denn die gegenwärtig forcierte bauliche Entwicklung unserer Gemeinde mit dem Wahlversprechen, den dörflichen Charakter Weingartens zu bewahren, noch in Einklang zu bringen sei. In der Tat lässt sich der Begriff „behutsame Nachverdichtung“ sehr flexibel interpretieren, und während sich die Weingartener Volksseele immer noch über die massive Bebauung am alten Tabakschopf und auf dem Gelände der ehemaligen Schreinerei Sebold empört und die Gebäude wahlweise als „Koloss von Weingarten“ oder „JVA Ringstraße“ tituliert, hat man nach Aussage des Rathauschefs lediglich die Wirkung auf die Königsberger Straße etwas unterschätzt. Auch die Tiefgarage rage rund einen Meter höher als erwartet aus dem Boden, aber jetzt sei das Ganze nun mal gebaut und nun müsse man eben damit leben. Ein Kurswechsel für künftige Planvorhaben? Fehlanzeige. Lehren für die Zukunft? Keine. Neue Bauvorhaben müssen den Vorgaben des Nachbarschaftsverbandes entsprechen, sonst sei die Genehmigung weiterer Bauflächen für die Gemeinde mit zunehmenden Schwierigkeiten verbunden.

Während man also einerseits im Weingartener Gemeinderat mit tatkräftiger Unterstützung externer Berater nach wie vor über „Dichtemodelle“ räsoniert, die Anzahl der zulässigen Vollgeschosse erhöht und die Baugrenzen in den einzelnen Quartieren weiter nach hinten verschiebt, treten gleichzeitig die Folgeschäden der seit über zwei Jahrzehnten gängigen „behutsamen“ Nachverdichtung immer deutlicher zu Tage. Der Verkehrsinfarkt der alten Ortsstraßen hängt direkt mit der flächendeckend praktizierten Bebauung in zweiter Reihe zusammen, und somit sind die gedanklichen Ansätze, für die Nutzung der immer knapper werdenden öffentlichen Stellplätze Gebühren zu erheben, kein Raubzug der Gemeinde, sondern die verzweifelte Suche nach einem Instrument der Steuerung, um den Druck auf die öffentliche Fläche ein wenig zu begrenzen. Auch ein Teil der Raumnot unserer Turmbergschule ist der Nachverdichtung geschuldet, und nicht zuletzt hinterlässt die Praxis der letzten beiden Jahrzehnte tiefrote Spuren in unserem Gemeindehaushalt, denn während private Eigentümer und Investoren sich über eine höhere bauliche Nutzung ihrer Grundstücke freuen dürfen, muss die Gemeinde die Infrastruktur für die zusätzlichen Wohneinheiten bereitstellen, ohne deren Kosten in irgendeiner Weise umlegen zu können. Während man als Kurgast zum Beispiel in Menzenschwand im Schwarzwald mittlerweile 2,90 € pro Nacht für die Nutzung der dortigen Angebote bezahlt, muss unsere Gemeinde zusätzliche Kinderbetreuungs- oder Freizeiteinrichtungen über ihren ohnehin stark belasteten Haushalt finanzieren. Eine tickende Zeitbombe schlummert überdies kurz vor der Autobahnbrücke in Richtung Staffort: Nicht nur verschärfte gesetzliche Vorgaben, sondern auch gestiegene Einwohnerzahlen der Gemeinden Weingarten und Walzbachtal zwingen die beiden Kommunen des „Abwasserzweckverbands“ zu einer baldigen Sanierung und Ertüchtigung der gemeinsam betriebenen Kläranlage. Die Kosten dieser Investition werden sich alsbald in der Abwassergebührenkalkulation niederschlagen.

Es hängt alles mit allem zusammen, und somit ist die „behutsame bauliche Nachverdichtung“ kein Patentrezept für die Lösung aller gegenwärtigen kommunalen Aufgaben. Klar ist jedoch, dass bei dem Versuch, mehr und mehr Menschen auf einer gleich großen Fläche zusammenzudrängen, der Druck im Kessel unweigerlich steigen wird. Die Zunahme von Konflikten, erhöhter Regelungsbedarf, eine überlastete Verwaltung, Raumnot in den Schulen, verstopfte Ortsstraßen, Verlagerung von Freizeit in den schützenswerten Außenbereich oder eine galoppierende Neuverschuldung sind direkte oder mittelbare Folgen einer fehlgeleiteten und von teuren Planungsbüros flankierten kommunalen Entwicklungsstrategie, die viel zu lange im Gemeinderat hingenommen und nicht in Frage gestellt wurde. Als erste Fraktion hebt nun die FDP den Finger, stellt eingespielte Rituale und Lebenslügen in Frage und fordert zu einem kritischen Nachdenken über die gegenwärtige Entwicklungsstrategie unserer Gemeinde auf. Und genau dafür ist es nun auch höchste Zeit.          

Nicht allen Einwohner Weingartens, und noch weniger den Anwohnern, gefällt der neue „dörfliche Charakter“